Der neue Feind – von Manuel
Während ich diesen Text hier verfasst habe, wurde mir die tragische Tragweite des „Kunststoff“ nochmal sehr bewusst. Während der letzten Monate beherrscht immer mehr das Thema Plastikmüll die Schlagzeilen. In diesem Artikel möchte ich über den Stoff Plastik und seine Nutzung schreiben und bin am Ende davon Überzeugt, dass die Worte „Kunststoff“ und „Lebensmittel“ nicht zusammengehören.

Die Schlagzeilen: Währenddessen im Westerwald
Bilder von verendeten Tieren und Geschichten über tote Robben und Fischen mit Mägen voller Plastik: mit vollem Magen verhungert. Das sind die krassen Schlagzeilen, mittlerweile kommen diese schon fast täglich über den Äther. Ich schaue mich gerade hier im Wohnzimmer um: Tisch aus Holz, Stühle gemixt, teilweise mit einem Lederimitat, Gläser, eine Tasse, ein paar Zeitungen. Soviel ist es ja gar nicht, denke ich. Mal genauer schauen. Die Lichtschalter: Plastik. Klar, sollen ja elektrisch isolieren. Lampenfassungen, Steckdosen, etc. Heizungsthermostate: auch Plastik. Stelle ich mir auch schwierig aus einem anderen Material vor. Mal unter den Tisch geschaut: Filzgleiter unter den Stühlen: natürlich Plastik und noch so einige Kleinteile mehr. Buchsen der Schrauben, teilweise Unterlegscheiben, damit es nicht knarzt, denke ich. Auch wenn man es nicht sofort sieht, es ist allgegenwärtig. Und das aus gutem Grund: spätestens bei Ersatzteilen der besonderen Art können wir schlecht auf Plastik verzichten. Ein Herzschrittmacher ohne oder ein vollständiges Kniegelenk aus Holz? Undenkbar zur Zeit. Es gibt viele Sorten Plastik. Sucht man „Plastik“ bei Wikipedia wird es interessant:
Das Wort Plastik für ein Kunstwerk aus geformtem Material wurde im 18. Jahrhundert aus der französischen Sprache ins Deutsche entlehnt. Das französische Substantiv plastique ist eine Substantivierung des Adjektivsplastique „formbar“. Das Adjektiv geht seinerseits auf lateinisch[ars] plastica „formende/geformte [Kunst]“ zurück und dies wiederum auf gleichbedeutend πλαστική [τέχνη] plastikē [téchnē] im Griechischen.
Wikipedia: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Plastik_(Kunst)
Uups, scheinbar daneben. Schaut man sich die Definition hier an, so liegt man doch sehr nahe dran, am Grundprinzip Plastik: frei formbar. Und darum ging es bei der Erfindung von Plastik. Es ersetzt keinen Stoff, es ist ein Stoff. Und richtigerweise lautet der Fachbegriff nicht „Plastik“, sondern „Kunststoff“:
Als Kunststoffe (auch Plaste, selten Technopolymere, umgangssprachlich Plastik) werden Werkstoffe bezeichnet, die hauptsächlich aus Makromolekülen bestehen. [Wiki-1], siehe unten.
Und tatsächlich ging es um Formbarkeit. Und weiteres, sie hier:
Wichtige Merkmale von Kunststoffen sind ihre technischen Eigenschaften, wie Formbarkeit, Härte, Elastizität, Bruchfestigkeit, Temperatur-, Wärmeformbeständigkeit und chemische Beständigkeit, die sich durch die Wahl der Makromoleküle, Herstellungsverfahren und in der Regel durch Beimischung von Additiven in weiten Grenzen variieren lassen. Kunststoffe werden bezüglich ihrer physikalischen Eigenschaften in drei großen Gruppen unterteilt: Thermoplaste, Duroplaste und Elastomere. [Wiki-1], siehe unten.
Spätestens jetzt sollten dem geneigten Leser nicht entgangen sein, das wir die Worte „Plastik“ und „Kunststoff“ synonym benutzen. Man gewöhnt sich daran. Jetzt kann man sich auf Wikipedia die Geschichte und den Erfolg von Kunstoff durchlesen. Und von den Gefahren dieses Stoffes. Plastik ist eine Gefahr (siehe die Schlagzeilen), das scheint sicher zu sein, dennoch herrscht Uneinigkeit zwischen der Industrie und vielleicht dem ganzen Rest der Welt.
Die Tragik der Technik
Neue Techniken sind begeisternd. Man löst Probleme, vereinfacht schwierige Sachverhalte und schreibt Erfolge. Dann kommen die Folgen meist zu kurz. So ist es bei der Atomtechnik, wie auch beim Kubststoff. Lange Zeit, und während der frühen Phase der Nutzung von Plastik (= Kunstoff), waren die Themen Umweltverträglichkeit und Gefahr weniger wichtig. Wenn Plastik zu Müll wird, dann bleibt es: der Stoff baut sich nicht selbst ab und ist daher immer präsent. Selbst wenn es zerfällt, dann ist es noch da, eben als Mikroplastik. Korrekterweise spricht man übrigens von Degradation:
Degradation bezeichnet bei Kunststoffen deren Abbau oder Zerfall. Häufiger sind die Ausdrücke „Alterung“und daraus resultieren meist Quellung, Versprödung, Rissbildung und Festigkeitsverlust. Die Degradation ist üblicherweise ein unerwünschter Vorgang und erfolgt entweder chemisch, physikalisch oder durch eine Kombination beider Abbauarten. [Wiki-1], siehe unten.
Interessant ist, das Kunstoff selbst eher als gesundheitlich ungefährlich eingestuft wird, da es als biologisch inaktiv gilt. Das heißt, dass Organismen nicht in der Lage sind, diese Stoffe und deren Moleküle aufzunehmen. Die Gefahr geht von den Zusatzstoffen aus, die die oben genannte Degradation und Alterung verhindern bzw. verzögern sollen. Dazu gehören Weichmacher, Stabilisatoren, Farbmittel, Füll- und Verstärkungsstoffe. Der ein oder andere mag sich noch an die spröden Plastikschüsseln aus den frühen Zeiten der Spülmaschinen erinnern. Auch hier zeigt sich die technologische Reife und das generelle Wissen über die Nutzung von Technologien und Materialien und deren Gefahren. Atomkraft galt auch lange als die Revolution der Energiewirtschaft – und ist es vielleicht auch! Denn es gilt der Nutzen, erst danach geht es an die Entsorgung. Es gibt übrigens ganze Disziplinen, die sich mit den Folgen von Technik und Technologien beschäftigen. Siehe Technikfolgeabschätzung:
Der wesentliche Hintergrund ist der, dass Technikanwendungen niemals nur ihr Arbeitsziel erfüllen, sondern darüber hinaus Nebenwirkungen für die natürliche und soziale Umwelt haben (siehe auch: Restrisiko, Grenzrisiko). [Wiki-2] (siehe unten)
Die konkrete Gefahr und der unsichtbare Nachbar
Auch wenn ich beim ersten Blick durchs Wohnzimmer nicht viel Plastik sehe, so ist der Kunststoff doch allgegenwärtig. Kugelschreiber, Schüsseln, Schalen, Messergriffe, Verpackungen, Verpackungen und noch mehr Verpackungen… Soviel fällt mir beim 30 Sekunden Brainstorming auf: das meiste sind Verpackungen – zumindest bei uns im Haushalt. Dennoch sind es immer noch die ganzen Einwegverpackungen, welche den Großteil des Kunstsoff im Alltag ausmachen – abgesehen von den technischen Produkten wie Schalter, Steckdosen und dem Gehäuse des Mixers (Handrührgerät). Und da sieht man es recht gut, die konkreten Müllberge, direkt im eigenen Haus und neben der Fahrbahn auf dem Weg zur Arbeit oder dem Parkplatz vorm Supermarkt. Man muss nicht bis zum Müllstrudel im Pazifik paddeln. Was nicht im gelben Sack zum „Recycling“ landet, wird entweder verbrannt oder landet auf der Kippe. Das sieht und riecht man.
Das Thema Mikroplastik als direkter Nutzstoff oder Abfall- bzw. Verfallsprodukt habe ich schon angesprochen (dazu kommt hier im Blog demnächst noch was – das ist uns einen eigenen Beitrag wert). Neben den stofflichen Abfällen des Kunstoffs gibt es aber noch die bereits oben genannten Beistoffe, die zumindest für mich die noch größere Gefahr darstellen. Worum geht es? Es geht um Endokrinologie, „die Lehre von der Morphologie und Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion (Endokrine Drüsen) und der Hormone„. So umständlich es klingt, so krass finde ich die Wirkung von Plastik auf Mensch und Tier. Sehr eindrücklich hat der Film „Plastic Planet“ auf mich gewirkt. Ich kann sagen, dass ich seitdem das Trinken aus Plastikflaschen, so gut es geht, vermeide. Wikipedia hat im o.g. Artikel [Wiki-1] (siehe unten) einen hübschen Absatz zum Thema Kunststoff und die Wirkung auf den Körper hinterlegt:
Die größte und älteste endokrinologische Fachgesellschaft der Welt, die Endocrine Society, widerspricht explizit den Beteuerungen von Herstellern und staatlichen Risikobewertungsinstituten, wonach bei Einhaltung der aktuellen Grenzwerte keine Gesundheitsgefahr bestehen würde und weist darauf hin, dass es keine Grenze gäbe, unterhalb derer von einer gesundheitlichen Unbedenklichkeit ausgegangen werden könne. Sie empfiehlt daher zur Vermeidung ernsthafter gesundheitlicher Konsequenzen unter anderem:
- die Vermeidung von industriell produzierten Nahrungsmitteln und in Dosen verpackten Nahrungsmitteln
- die Vermeidung von Aufbewahrungsmitteln aus Kunststoff (insbesondere solche, die mit dem Recycling-Code 3, 6 und 7 gekennzeichnet sind).
- Kein Erhitzen in Kunststoffprodukten (bspw. in der Mikrowelle)
- die Vermeidung der Verwendung von Kunststoffflaschen
- die Vermeidung von Spielzeug aus Kunststoff
- den Verzicht auf Produkte, die endokrine Disruptoren enthalten (Phthalate, Bisphenol A, Parabene)
- die Benutzung von Kosmetika ohne synthetisch hergestellte Duftstoffe
- die Vermeidung des Kontakts mit Thermopapier, wie es oft für Kassenzettel o. ä. verwendet wird
- die Ernährung durch Bio-Lebensmitteln, da zu deren Produktion keine synthetischen Pestizide verwendet werden dürfen
Eine nette Auflistung, wie ich finde. Für mich war und ist dies ein Grund für unser Projekt „Generation-Plastik.de“. Das Zeug hat es wahrlich in sich. Einer der Stoffe, die vor ein paar Jahren zu einem wahren Skandal geführt haben ist Bisphenol-A (BPA). Bereits 1891 erfunden, wird BPA in Polycarbonaten und Epoxydharzen genutzt. Polycarbonat ist deshalb ein für die Industrie interessanter Kunststoff, da dieser hart, stabil und transparent ist, sich aber auch prima einfärben lässt. Ideal also für Trinkflaschen und Aufbewahrungsbehälter und die ganzen Lebensmittelpackungen und Salatschalen in der Kühltheke im Supermarkt. Bereits kurz nach der Erfindung des Stoffes war bekannt, dass BPA hormonell aktiv wirkt: 1930 wird BPA als „künstliches Östrogen“ bezeichnet, es ist ein endokriner Disruptor. Und wird trotzdem fleißig von der Kunststoffindustrie genutzt. In den 70er Jahren explodierte die Nutzung von Polycarbonat und Kunststoff in allen Formen, einschließlich Babyfläschchen und Beschichtung von Konservendosen für Lebensmittel. Warum genau das auch Teil der oben genannten Liste der Endokrinen Gesellschaft ist, wird spätestens bei der Recherche um BPA klar. Jahrzehnte lang werden Untersuchungen verharmlost und Grenzwerte aufgeweicht, Experten von der Industrie bezahlt – einschließlich der US Regierung und Behörden. Erst im Jahr 2008 wird BPA endlich als gefährliche Substanz eingestuft und im Jahr 2011 hat die EU Bisphenol-A in Babyfläschchen verboten. Die ganze Geschichte ist eher traurig zu lesen und man fühlt sich betrogen. Wer diese 120 Jahre andauernde verseuchte Geschichte nachlesen will kann das zum Beispiel hier tun [2] (siehe unten).
Ach ja, was macht denn BPA so gefährlich? Wie gesagt, es ist ein endokriner Disruptor, wirkt wie ein Östrogen und hat jede Menge unnatürliche Effekte auf den tierischen und menschlichen Hormonhaushalt. Dazu gehören Veränderungen der Prostata und des Testosteronspiegels. Es gibt Studien zum verfrühten Eintritt der Pubertät bei Labortieren und daraus vermuteten Auswirkungen bei Menschen, nachweislich Verbindungen zu Brust- und Prostatakrebs, Nachweise zum Auftreten von ADHS bei Kindern und aktuell auch Studien zu Adipositas. Alles beeinflusst und ausgelöst durch BPA [1] (siehe unten). Die Liste ist einfach nur ätzend und lang…
Während ich den Artikel hier verfasse – und jetzt zum Ende bringe – ist Ostern. Die Kinder haben jede Menge Spaß mit ihren Geschenken. Und es gibt auch wieder jede Menge Plastik. Das meiste ist Verpackung oder Umverpackung der Verpackung. Mehr dazu demnächst hier.
[Wiki-1]: Wikipedia: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kunststoff
[Wiki-2]: Wikipedia: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Technikfolgenabschätzung
[1] http://www.staff.uni-giessen.de/~gj1059/_down_pdf/Adipositasmodell_Endversion_deutsch.pdf(Seite 70): BPA begünstigt die Entstehung von Übergewicht/Adipositas, indem es dazu führt, dass überschüssige Kalorien effizienter in Form von Fett gespeichert werden. Das bedeutet, dass BPA im menschlichen Organismus ähnlich wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen wirkt (Vom Saal und Hughes 2005). Es konnte gezeigt werden, dass BPA bereits in kleinen Dosen die Gewichtszunahme fördert (Takeuchi et al. 2004).
[2] chemical sensitive network: 120 Jahre notorischer Bisphenol-A Skandal: http://www.csn-deutschland.de/blog/2011/11/23/120-jahre-notorischer-bisphenol-a-skandal/
[…] im Beitrag „Alles http://generation-plastik.de/2019/04/21/alles-plastik/Plastik“ beschrieben, beinhaltet Plastik jede Menge andere Zusatzstoffe und in diesem Fall […]
[…] Fleisch oder Fisch. Über die Vorteile von Plastik haben wir schon geschrieben [hier]: leicht, bruchsicher, in alle möglichen Formen herstellbar, etc. Will man dazu eine Alternative […]