Ein weiterer Beitrag zum hier beschriebenen Thema „Verpackt die Zukunft“ – Von Manuel
Warum steigt die Menge an Verpackungsmüll weiter an? Das habe ich mich beim Schreiben des Vorgänger-Artikels gefragt. Scheinbar über Nacht ist alles verpackt und Umverpackt. Gedanken dazu, warum das so ist, und was man dagegen tun kann, darum geht es in diesem Beitrag.
Die Gurke ist umhüllt mit Plastik!
Die Natur hat Obst doch schon eine geeignete Packung gegeben. Laut NABU hat der Anteil an in Kunststoff vorverpackten Obst zwischen 2000 und 2014 um 78 Prozent zugenommen; der für Gemüse ist sogar um 164 Prozent gestiegen [1]. „Um sie vom ‚normalen‘ Obst zu unterscheiden!“, sagen die Bio-Anbieter. Muss es denn Plastik sein? Und warum überhaupt unterscheiden? „Der Verbraucher schätzt Regionalität oder Bio – wenn er es zielsicher erkennen kann. Er will sich sicher sein, dass er Bio kauft. Und das geht meist nur mit Verpackung“, sagt Florian Wolz, Geschäftsführer der Genossenschaft Franken-Gemüse mit Sitz in Nürnberg in einem Beitrag der FAZ [2]. Aha, der Verbraucher ist schuld. Wir wollten das ja so. Das Verpackung wichtig ist, habe ich ja schon hier erklärt. Und Plastik? muss das so sein? In dem Artikel der FAZ wird argumentiert, dass die längere Haltbarkeit den Schaden durch zusätzlichen Müll kompensiert: Ein Prozent mehr Verpackung bedeuten zehn Prozent weniger weggeworfene Lebensmittel [2]. Was der Experte aber unerwähnt lässt: die faule Gurke am Kompost ist nach 30 Tagen verrottet. Die Plastiktüte ist noch nicht nach 30 Jahren zerfallen. Bitte versteht mich nicht falsch, das hier ist kein Aufruf zum wegwerfen von Lebensmittel. Es geht um das dahinter liegende Prinzip.
Übrigens hat neulich erst Öko-Test verschiedene Supermärkte auf das Müll- bzw Plastik-aufkommen geprüft. Fazi: Selbst wenn einige Supermärkte Kampagnen gegen Plastikmüll laufen haben, so ist die Plastikflut derzeit noch unverändert hoch. Auf Platz eins (am meisten Müll) bis drei liegen übrigens Penny, Aldi und Netto. [3]
Was tun?
Kauft keine Gurken in Plastik. Punkt. Im Ernst: es liegt tatsächlich bei uns -jedem einzelnen Verbraucher – dies nicht zu kaufen.
Weg von der Gurke – Eine andere Sicht
Eine andere – und für mich zugleich überraschende und überzeugende – Sicht auf das Mehr an Verpackung hat Paul-Philip Hanske im SZ-Magazin in dem lesenswerten Artikel „Die neue Fettsucht der Dinge“ beschrieben [4]. Nachweislich werden auch Alltagsgegenstände immer voluminöser und größer. Angefangen beim SUV bis zum Bügeleisen, alles ist in den letzten Jahren gewachsen. Zum Teil liegt das an neuen Standards und Funktionen und ist meist Ausdruck von Innovation: größer = mehr. Aber auch besser? Beim Waschmittel zum Beispiel muss man die Pakung anders gestalten. Was anderes gibt es ja auch kaum zu verbessern (vllt. den Duft). Auch wenn die Werbung suggeriert, das dieses Waschmittel von der über hundert Jahre alten Marke heute die Wäsche noch weißer als im letzten Jahr wäscht. Was bleibt ist die Verpackung und auch die wächst und muss mehr bieten: Zum Beispiel Ausgüsse und Portionierhilfen, Verschlüsse, neue Formen, usw. Wer hätte gedacht, dass Mann und Frau sowas braucht? Handke nennt dies “Fettsucht der Dinge” und “ Wucherung der Form”. Damit der Zuwachs an Volumen nicht zu schwer und teuer wird, wird mit Plastik gearbeitet – meist reden wir hier dann über das 5-Minuten-Plastik.
Was macht den Artikel so interessant? Nun: …vor gut 110 Jahren schrieb der Wiener Architekt und Gestalter Adolf Loos seine bis heute wirkmächtige Polemik Ornament und Verbrechen. Darin legt er dar, dass das Ornament, die schmückende Wucherung der Form, der originäre künstlerische Ausdruck »primitiver Völker« sei. In der Gegenwart ziere es nur noch »Unglücksmöbel« und sei eine Vergeudung von Ressourcen und Arbeitskraft. … [4].
Was bedeutet das jetzt für diesen Plastik-Blog? …Dass ein ständiges Mehr an Funktionen (z.b Portionierhilfen, Ausgüsse, Verschlüsse,…) eine Wucherung der Form bewirkt. Die Folgen sind, was in Anlehnung an Loos »funktionale Ornamente« heißen könnte: Beiwerk, das zwar eine Funktion hat, auf das man aber auch gut verzichten könnte und das die Dinge dicker und spektakulärer wirken lässt…. [4]. Man braucht das nicht.
Das Gegenteil dieser Wucherung ist laut Hanske das »Supernormale«: – ein Weinglas oder ein Küchenstuhl – sei oft das Ergebnis einer jahrhundertelangen Evolution, in der Handhabbarkeit und Rationalität der Herstellung die Form prägten. Eine Urheberschaft ließe sich meistens nicht bestimmen. Zu den Ausnahmen gehört die achteckige Espressokanne »Moka Express«, die 1933 von Alfonso Bialetti entworfen wurde. … Vergleicht man diese Espressokanne mit der zeitgenössischen Vorrichtung zur Kaffeebereitung, dem Kaffeevollautomaten, wird klar, dass das Schwellen der Dinge nicht nur eine unschöne Vergeudung von Ressourcen und Arbeitskraft ist. Der Kaffeevollautomat kann auch nichts, was ein »Moka Express« und eine Milchkanne mit Schäumer nicht ebenso könnten. Und: Beim Vollautomaten liefert man sich mehr der Technik aus. Er muss mühevoll gereinigt und gewartet werden. Je komplexer Gerätschaften, desto anfälliger sind sie. Oft erkauft man sich einen Gewinn an Bequemlichkeit mit einem Verlust an Autonomie. Wer erlebt hat, dass im eigenen Auto die Elektronik streikt, weiß, wie sich Ohnmacht anfühlt.
Die Supernormale Gurke
Vergeudung von Ressourcen, Bequemlichkeit und Verlust der Autonomie? Richtig gelesen. So ist es bei der Gurke genauso wie beim Vollautomat. Gurken kaufen wir nur noch unverpackt. Genauso wie anderes Gemüse auch. Für den Kaffee haben wir jetzt das Schwallbrühen entdeckt. Nachdem auch unser Vollautomat an totaler Verkalkung den Weg zum Elektroschrott gegangen ist, brauchten wir kurzfristig Ersatz. Gefunden haben wir einen Filteraufsatz und wir mahlen den Kaffee von Hand. Selten hat uns Kaffee so gut geschmeckt und ein Automat kommt uns so schnell nicht mehr ins Haus. Probiert es mal aus!
[2] https://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/das-grosse-shoppen/folie-und-plastik-fuer-frisches-gemuese-fluch-oder-segen-15259513.html
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