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Edler Kaffee in billigem Plastik

Über Vorbilder, Kaffee und falsch verstandenen Umweltschutz- von Manuel

Diese Überschrift habe ich mir nicht selbst ausgedacht, ich habe diese aus einem Text von Reinhold, einem Mitglied der Initiative Hachenburg Plastikfrei entnommen. Reinhold hatte einen Informationstext für die lokale Presse vorbereitet und bat mich diesen zu kommentieren. Die Zwischenüberschrift „Edler Kaffee in billigem Plastik“ fand ich richtig klasse. Demonstriert es doch zum einen den Zustand rund um die Umweltdebatte ganz plakativ und führt auch noch den neuen Feind der laufenden Müll- und Plastikdebatte im Namen. Jeder weiß was gemeint ist – der To-Go Becher.

2.800.000.000

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat in einer Studie [1] errechnet, dass pro Stunde an jedem Tag der Woche 320.000 Einwegbecher weggeworfen werden. Natürlich pro Person. Das sind 7,6 Millionen Becher täglich, 2,8 Milliarden Becher pro Jahr, nur in Deutschland. Das ist eine Zahl mit acht Nullen: 2.800.000.000.

Hat Ally McBeal uns das vorgemacht?

Vor rund zehn Jahren schwappte die Becher-Welle aus den USA nach Europa und Deutschland [4]. Vor allem bei Jugendlichen fand sich schnell die Bereitschaft, endlich das nachzumachen, was man allenthalb aus US Serien schon kannte: Kaffe oder andere Getränke aus Bechern mit Deckel, zum mitnehmen und zum schnellen entsorgen. To-Go! Who cares. Auch ich fand diese Becher toll, vor allem weil ich Kaffee mag. Plötzlich konnte ich diesen überall kaufen, zum mitnehmen, unbeschwert, an jeder Tanke. Ganz so wie im Beasty Boys Video zu „Sabotage“: Einsatz in Manhattan! Schmeiß weg! Dahinten gibts neues! (siehe Minute 1:40 im Video hier [2]).

Ein paar Jahre später fand ich das nicht mehr so easy und lustig. Kaffee ist ein tolles Getränk und irgendwann schmeckte mir es nicht mehr aus dem Pappbehälter. Meistens war die schwarze Brühe kalt und abgestanden oder sehr heiss. Dann musste man warten, bis es abgekühlt war. Pusten kann man ja nur, wenn der Deckel ab ist. Mit den Bechern kam auch die neue Größe des Angebots für Heißgetränke: Medium, Tall, oder Extra Large. Also ziemlich viel Kaffee im Becher. Wenn er von der Temperatur trinkbar war, war er nach der Hälfte des Bechers kalt und ich mochte ihn nicht mehr. Was solls, man kann ihn ja einfach im nächsten Mülleimer entsorgen. Dafür war der Becher ja gemacht. Zumindest ging es mir so. Generell hat die Einführung der To-Go Becher und den überall entstehenden Coffeeshops und Kaffee-Ketten Kaffee so richtig zur Mode gemacht. Natürlich ist auch richtig guter Kaffee dabei – Aber aus Pappe trinken?

Lange habe auch ich das echte Problem der Becher verkannt: gut, es ist halt Müll, aber meist doch Pappe, nur die doofen Plastikdeckel. Kann man ja weglassen. So dachte ich. Auch nachdem ich „Plastic Planet“ gesehen und mich näher mit meinem Müll-Fußabdruck beschäftigt hatte, lehnte ich das To-Go verhalten ab. Und jetzt gibt es die Becher überall, an jeder Tankstelle oder Brötchenausgabe, Bäcker, Metzger und selbst im Hotel…

Falsch verstandener Umweltschutz

Dieses Wochenende war ich mit Nicole in Berlin. Wir hatten ein tolles Hotel, das laut eigener Aussage viel Wert auf „hochwertige Materialien und Design“ legt. Im Bad fanden wir dann besagte To-Go Becher als Zahnputzbecher – ohne Worte. Besonders der Aufdruck hat für mich dann noch mehr Fragezeichen erzeugt: „Because we care…“ was soll das sein? Hochwertige Materialien sind das nicht und warum kein Glas oder wiederverwendbare Plastikbecher, wie andere Hotels auch? Nachhaltigkeit sieht anders aus.

Das Problem steckt im Becher, nicht im Deckel. Der Deckel hat sogar einen Recyclingcode und ließe sich theoretisch zu neuen Deckeln recyceln ( nicht wirklich, da er schwarz ist, aber das ist eine andere Geschichte). Das richtige Problem steckt im (Papp-)Becher: das ist ein Komposit-Material. Also ein Mix aus Pappe, Papier und Plastik. Das Plastik wird in Schichten auf das Papier laminiert. Ist ja auch klar, ein Pappbecher würde durch die Feuchtigkeit sonst durchweichen. Das Material ist eine Kunststoffbeschichtung (meistens PET) auf FSC-zertifizierten Papier: niemand kann das recyclen, zumal die einzelnen Schichten aus verschiedenen Komponenten bestehen und sich niemals sortenrein trennen lassen. Der reine Müll – im Wortsinn.

Der Müll ist nicht das einzige Problem

Wie im Beitrag „Alles Plastik“ beschrieben, beinhaltet Kunststoff auch jede Menge andere Zusatzstoffe um diesen verarbeitbar zu machen. Und in diesem Fall natürlich auch Kleber, der den Kunststoff am Papier hält. Der NDR hat Becher auf Chemikalien und Schadstoffe für Lebensmittel untersucht [3]. Heiße Getränke können Chemikalien wie Weichmacher und Phthalate auswaschen. Außerdem ist Der Kunststoff nicht BPA frei. Was das bedeutet könnt ihr hier nachlesen. Das Ergebnis der Studie:

„Besonders kritisch seien Getränke, die zusätzlich Fett enthalten, wie zum Beispiel Milchkaffee, da viele möglicherweise schädliche Stoffe fettlöslich sind. In drei Bechern der Stichprobe wurde der Weichmacher Diisodecylphthalat nachgewiesen:

  • im Becher aus der Kantine 0,03 mg/kg (Milligramm pro Kilogramm)
  • im Becher von Starbucks 0,06 mg/kg
  • im Becher von McDonald’s 0,10 mg/kg

Der gesetzliche Grenzwert für Diisodecylphthalat liegt deutlich höher – bei 9,5 mg/kg. Dennoch sieht Dr. Jane Muncke den Befund kritisch: Die Gruppe der Phthalate stehen im Verdacht, das Hormonsystem zu schädigen. „

Was ist drin [7]:

„Einwegbecher bestehen überwiegend aus Papierfasern, für deren Herstellung in aller Regel Neumaterial eingesetzt wird. Es werden praktisch keine Recyclingpapierfasern genutzt, sodass für die Herstellung der Pappbecher neue Bäume gefällt werden müssen. Weil die Einwegbecher nicht nur aus Pappe, sondern anteilig auch aus Kunststoff bestehen, wird auch Rohöl zur Becherproduktion benötigt. Ein durchschnittlicher Einwegbecher besteht in der Regel zu fünf Prozent aus dem Kunststoff Polyethylen – dazu kommt noch der Plastikdeckel und gelegentlich Rührstäbchen, Papiermanschetten oder Tragehilfen aus Pappe.

  • Für Herstellung der Polyethylen-Beschichtungen der Becherinnenseiten und Polystyrol-Deckel werden jährlich ca. 22.000 Tonnen Rohöl verbraucht.
  • Für die Herstellung der jährlich in Deutschland verbrauchten Coffee to go–Becher entstehen CO2-Emissionen von rund 83.000 Tonnen.
  • Die Herstellung der Polystyrol-Deckel verursacht zusätzlich rund 28.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr.
  • Viele der weggeworfenen Coffee to go-Becher werden achtlos weggeworfen und verschmutzen Straßen, öffentliche Plätze und die Natur.“

Was kann man tun?

Wieder einmal ist die triviale Antwort: nicht kaufen. Oder eigene Becher mitbringen. In den meisten Coffee Shops gibt es dann sogar Rabatt. Es gibt tolle Mehrwegbecher mit Trinkdeckel, ganz so wie die Pappvorbilder.

Basierend auf der Becherstudie der DUH wurde auch untersucht, ob der ökologische Abdruck der Mehrwegbecher bezüglich Herstellung, Reinigung, Transport etc. eventuell doch eine schlechtere Umweltbilanz aufweist. Auch hier ist das Ergebnis recht eindeutig [6].

„Grundsätzlich spielt es gar keine so große Rolle, woraus diese Becher hergestellt werden“, lautet die für einen Laien überraschende Aussage von Thomas Fischer, Leiter für Kreislaufwirtschaft bei der DUH. „Das Wichtigste ist, dass der Spülvorgang eines Mehrwegbechers einen ökologischen Mehrwert im Vergleich zur Herstellung eines Einwegbechers hat: weniger Wasser- und Energieverbrauch und weniger Chemikalieneinsatz.“Der ökologische Nachteil, der durch die Herstellung erst einmal größer ist, muss mit jedem Spülvorgang abgebaut werden. „Wenn man also vorhat, einen Becher Hunderte Male wiederzuverwenden, spielt es am Ende überhaupt keine Rolle mehr, ob er aus Plastik, Edelstahl oder Biokunststoff ist“, so Fischer. „Entscheidend ist die Langlebigkeit.“

Weitere Alternativen

Generation-Plastik.de: recup Werbung in Berlin
Recup Werbung in Berlin. Eigene Aufnahme

In manchen Städten haben sich schon lokale Mehrwegsysteme etabliert. Allen voran ist hier Recup [5] aus München zu nennen. Angeschlossene Coffeshops, Bäckereien und Kaffeehäuser geben Mehrwegbecher gegen Pfand aus und nehmen diese auch wieder – wie bei einem echten Pfandsystem üblich – zurück . Mittlerweile gibt es Recup in vielen Städten, darunter auch Koblenz und Montabaur [5]. Der Deckel muss allerdings einmal gekauft werden, da die Reinigung der Konturen und Dichtlippen einschließlich der anschließenden keimfreien Lagerung nicht immer gewährleistet werden kann.


[1]: https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/5300-verbrauchte-einwegbecher-pro-minute-deutsche-umwelthilfe-fordert-abgabe-und-verbindliches-red/

[2]: https://youtu.be/z5rRZdiu1UE

[3]: https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Kaffeebecher-Was-steckt-in-der-Beschichtung,kaffeebecher186.html

[4]: https://www.yaacool-bio.de/index.?article=1786

[5]: https://recup.de

[6]: https://mobil.stern.de/wirtschaft/muell/pappbecher-und-coffee-to-go–der-feind-in-deiner-hand-7917028.html

[7]: https://www.duh.de/becherheld-problem/


3 Kommentare

  1. axel wolf axel wolf

    Sehr kenntnisreich! Mir hat die detaillierte Recherche sehr gut gefallen! Macht weiter so!

  2. […] diesem Beitrag geht es wieder um Berlin und es geht auch wieder um Kaffee. Das letzte Mal hatte ich hier über To-Go Becher und re-cup berichtet. Heute lässt mich ein anderes Bild grübeln. In meinem […]

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